Es war eine Nachricht, die Schockwellen in Politik und Wirtschaft auslöste: Russland soll ein Attentat auf Rheinmetall-Chef Armin Papperger geplant haben. Die Tageszeitung „Die Welt“ hat dazu ein Interview mit mir veröffentlicht, in dem ich unter anderem erklärte, warum mich die Nachricht nicht sonderlich überrascht hat: „Russland versucht schon seit geraumer Zeit, Menschen zu töten oder zu entführen, die eine Gefahr für das Land darstellen.“ Zahlreiche russische Manager seien auf dubiose Weise ums Leben gekommen. Wer die internationalen Nachrichten verfolge oder sich mit Sicherheitspolitik befasse, der wisse, dass diese Vorgehensweise „in Russland leider gang und gäbe“ sei.
Im konkreten Fall drängt sich natürlich die Frage auf: Was bringt ein Attentat auf den Chef eines Rüstungskonzerns? Schließlich würde sein Job in kürzester Zeit von einem Nachfolger übernommen…
Dazu habe ich eine klare Meinung: Bei den Anschlagsplänen ging es nicht um die Person Pappberger. Mit dem Mord an einer so exponierten Persönlichkeit werden weitergehende Ziele verfolgt: Es soll eine breite Verunsicherung in der Wirtschaft ausgelöst werden. Gegenüber der „Welt“ habe ich ausgeführt: „Wenn der Vorstandschef eines großen Rüstungsunternehmens verletzt oder getötet wird, dann wird sein Nachfolger wohl mit sehr großer Vorsicht an die Sache herangehen. Unbequeme Entscheidungen wird er sich drei- bis viermal überlegen, bevor er sie durchführt. Auch Lenker anderer Rüstungsunternehmen werden damit eingeschüchtert.“
Warum ausgerechnet der Rheinmetall-Chef? Sind andere Unternehmer ebenfalls bedroht? Meine Antwort auf diese Fragen: „Die Bedrohung betrifft keineswegs nur Rheinmetall, obwohl dieses Unternehmen natürlich angesichts seiner Größe und seiner Aktivitäten in der Ukraine besonders im Fokus steht. Auch wesentlich kleinere Unternehmen wie die Hersteller von innovativen Drohnen oder Lasertechnologien könnten in den Fokus möglicher Anschläge geraten.“ Die Bedrohungslage könnte sich durchaus auch noch auf Banken ausweiten, die als Finanziers zahlreicher Projekte im Rüstungssektor tätig sind.
Schutzmaßnahmen sind deshalb dringend angeraten. Es hat sich gezeigt, dass Personenschützer allein nicht ausreichen: „Der beste Schutz und die beste Videoüberwachung versagen, wenn der Bewachte sich im Hotel einen Tee bestellt und sich darin Gift befindet. Dass dieses Szenario nicht unwahrscheinlich ist, zeigt der Fall Nawalny.“
Zu einem umfassenden Schutz, so habe ich gegenüber dem Welt-Redakteur aufgezeigt, gehört „die Durchleuchtung sämtlicher Personen, die Umgang mit dem Bewachten haben – und sei es der Kellner im Restaurant. Aber auch Angehörige und Bedienstete müssen geschult werden“. Je konkreter die Bedrohungslage, desto engmaschiger müsse die Überwachung sein. Dies würde von den Betroffenen oft als unangenehm empfunden, weshalb solche umfassenden Sicherheitsmaßnahmen meist erst sehr spät ergriffen würden. „Hier könnte ein Umdenken stattfinden.“
Was ist konkret zu tun? Der „Welt“-Redakteur fühlte sich an die RAF-Zeiten erinnert, als umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen für Wirtschaftsbosse getroffen wurden. Welche Lehren habe man aus den damaligen Anschlägen zum Schutz von Unternehmern gezogen, wollte er wissen.
Aus der damaligen Bedrohungslage ist das so genannte Konzept 106 entstanden, bei dem es vor allem darum geht, das Umfeld der zu schützenden Personen genau zu beobachten. Die Sicherheitskräften registrieren zum Beispiel, welche Autos die Nachbarn fahren: So kann sofort erkannt werden, wenn sich ein unbekanntes Auto nähert.
Aber auch kleinste Veränderungen werden beobachtet, etwa wenn auf dem Weg zum Arbeitsplatz über Nacht eine neue Baustelle am Straßenrand entsteht. Das Konzept 106 verlangt dann eine sofortige Klärung, ob die Baustelle überhaupt notwendig ist, wer zuständig ist usw. Wäre das damals – 1966 – geschehen, „hätte wahrscheinlich die Ermordung des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen durch die RAF verhindert werden können“. Damals war die Bombe, die neben seinem Wagen explodierte, in einer nicht genehmigten Baustelle versteckt…