Politiker warnen: Gewaltbereitschaft nimmt zu. Und nun?

Man kann’s bald nicht mehr hören. Alle paar Tage tönt ein Politiker, und die Medien berichten ausführlich: Die Gewaltbereitschaft in unserem Land nimmt zu! Es ist nicht die Feststellung, die allmählich zu nerven beginnt. Sondern die zunehmende Erkenntnis, dass die Verantwortlichen in Politik und Medien es offensichtlich dabei belassen, ein großes gesellschaftliches Problem zu benennen.

Und nun? Was tun sie eigentlich – außer eben zu sagen, dass die Gewaltbereitschaft zunimmt?

Nach der tödlichen Messer-Attacke von Mannheim zeigte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier umgehend öffentlich besorgt über die „wachsende Gewaltbereitschaft in unserem Land“. So dürfe es nicht weitergehen, zitierte ihn der Spiegel: „Gewalt gefährdet, was unsere Demokratie stark gemacht hat.“

Recht hat unser Staatsoberhaupt! Aber es ist eine Binsenweisheit: Dass die Gewalt auf unseren Straßen zunimmt und letztlich auch unsere Demokratie gefährdet – das ist wahrlich nichts Neues! Deshalb muss man gerade jetzt, nach Mannheim (wo an diesem Mittwoch offenbar schon wieder ein Politiker mit einem Messer angegriffen wurde), fragen dürfen:

Und nun? Was macht die Politik denn aus ihrer Erkenntnis – außer darüber zu reden?

Genau da beginnt das wahre Problem…

Vor einer Woche zitierte die tagesschau.de den BKA-Chef: Er sehe „eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Politik und staatlichen Einrichtungen zu erkennen, diese führe auch zu zunehmender Gewaltbereitschaft“, sagte Holger Münch. 

Vor vier Wochen wurde der Chef der Polizeigewerkschaft Baden-Württemberg vom SWR zitiert: „Die Gewaltbereitschaft einiger Menschen ist extrem“.

Die Plattform regionheute.de titelte Anfang Mai: „Extremismusforscher warnt vor rechter Gewaltbereitschaft“.

Wenige Wochen zuvor, im März, lautete eine Überschrift in der Welt: „Bundesinnenministerin Faeser sieht größere Gewaltbereitschaft bei Linksradikalen“.

Gewalt mal von links, mal von rechts: Sage keiner, er habe es nicht gewusst! Gewalt zieht sich durch alle Altersgruppen, durch ganz Deutschland:

Die Dorstener Zeitung warnte: „Schulleitung meldet mehr Gewaltbereitschaft bei Kindern“.

Der NDR meldet: „Gewaltbereitschaft gegenüber LGBTQIA+ steigt“.

Das Westfalenblatt titelte: „Gewaltbereitschaft im Fußball auf hohem Niveau“.

Die OsthessenNews zitierten einen Polizeivizepräsident, der „erschüttert über hohe Gewaltbereitschaft“ sei.

Wenn wir uns durch die Meldungen klicken, fällt übrigens auf: Die Gewaltbereitschaft einiger islamistischer Gruppierungen wurde bisher – vor Mannheim – so gut wie nicht thematisiert, weder von der Politik noch von den Medien. Gewaltbereite Salafisten radikalisieren sich im Internet, sie rufen junge Menschen zur Gewaltbereitschaft auf, sie fordern die Scharia als alleinige Grundlage staatlichen Handelns…

…und in der Politik und in den deutschen Medien bleibt’s merkwürdig still. Die Neue Züricher Zeitung kommentierte: „Das offenbart einen politischen Doppelstandard, wenn es um extremistische Phänomene geht.“

Erst kürzlich habe ich an dieser Stelle eine sofortige Umsetzung aller Forderungen von Innenministerin Faeser gefordert, mit denen sie immer wieder in die Schlagzeilen drängt. Meine Forderung mag sarkastisch geklungen haben, war aber durchaus ernst gemeint:

Allein mit immer neuen Forderungen wie auch mit dem gebetsmühlenartigen Reden über die Gefahr einer zunehmenden Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft ändern wir: nichts.

Längst sehe ich eine ganz andere Gefahr: Die Reden unserer Politiker beginnen, eine narkotisierende Wirkung zu entwickeln. Wir gewöhnen uns daran – und nehmen die zunehmende Gewaltbereitschaft als unabänderlich hin. Die Psychologie spricht vom Illusory Truth Effect, von der „Wahrheitsillusion“. Wir hören etwas immer und immer wieder, bis wir uns sagen: „Dann ist es eben so.“

So beginnen wir, die Schreckensnachrichten zu akzeptieren: Die Gewaltbereitschaft um uns herum nimmt zu.

Bis die Gewalt uns selbst trifft. Dann wachen wir auf.

Dann ist es zu spät.